top of page

Der erhobene Zeigefinger in Gesprächen

Aktualisiert: 25. Aug. 2023

Der erhobene Zeigefinger ist unangenehm belehrend, mahnend – aus einer (vermeintlich) überlegenen Position in Bezug auf Macht, Moral, Wissen oder Ähnliches heraus (Duden 2013: S 870).

Der „erhobene Zeigefinger“ wird gerne auch verbal eingesetzt, wenn man (vermeintlich) belehren möchte und in Gesprächen ins „Eltern-Ich“ (Transaktionsanalyse nach Eric Berne) wechselt oder schlittert.


In Verkaufs- oder Beratungsgesprächen mit Kund:innen oder Gästen ist ein „verbal erhobener Zeigefinger“ nicht zielführend und auch nicht sehr gewinnend. Oft wird er eingesetzt, wenn sich ein Kunde oder ein Gast im „guten Ton“ vergreift und verbal attackiert.


Und dann heißt es schon mal:


„Wenn Sie in diesem Ton mit mir sprechen,

  • werde ich Ihnen nicht helfen können oder wollen …

  • Ihnen nicht zuhören …

  • mit Ihnen nicht sprechen …

  • Sie ignorieren …

  • Sie nicht beraten ...

  • Sie mit Desinteresse bestrafen ...

  • das Gespräch beenden ... "

Meine Tipps für solche Situationen, um lösungsorientiert helfen oder zufriedenstellend und gelungen ein Gespräch führen zu können:


Kurz durchatmen

und sich drei Gedanken erlauben . . .


  1. Aufgebrachte, aufbrausende, schimpfende, ausflippende, wütende Gäste oder Kund:innen sind in diesen Situationen und Momenten einfach nur verrückt. Ver-rückt. Ja, ver-rückt. Sie stehen neben sich. Gedanklich hilft hier ein Wünschen von: „Gute Besserung!“ (vgl. Kuschik 2023: 79-83).

  2. Das Schimpfen, die verbale Attacke, der Angriff und die Wut sagen mehr über den Schimpfenden als über den Beschimpften aus (vgl. Kuschik 2023: 124; Schulz von Thun 1989: 26). Hier hilft: „Das sagt, glaube ich, mehr über Sie als über mich aus.“

  3. Wer mit dem Finger auf andere zeigt, zeigt dabei mit drei Fingern auf sich. Soll heißen: Was sagt das, was wir von uns geben, eigentlich über uns aus?


Nun haben wir uns diese drei Gedanken erlaubt, aber wie können wir vermeiden, dass wir in ein belehrendes „Eltern-Ich“ rutschen und Kunden wie Gäste belehren, zurechtweisen und maßregeln?


Grundsätzlich gilt, dass eines DER Grundbedürfnisse von uns Menschen ist, gesehen und gehört zu werden.


Wir wollen gesehen werden.
Wir wollen gehört werden.
Wir wollen wahrgenommen werden.

Es kann daher schon helfen zu signalisieren:


„Ich habe Sie verstanden.“

„Ich habe es vernommen.“

„Ich verstehe Sie.“

„Ich kann Sie gut verstehen.“

„Ich verstehe, dass … .“


Ist der Gast oder die Kundin zu sehr aufgebracht und kann mit einem „Ich-Verstehe-Sie“ noch nicht auf die Sachebene „ge-rückt“ werden und bleibt weiterhin „ver-rückt“, dann könnte helfen:


„Ich helfe Ihnen gerne, aber mein Bestes macht nur dann Sinn, wenn auch Sie Ihr Bestes geben.“

„Mein Bestes macht nur dann Sinn, wenn Sie Ihr Bestes geben.“

„Das nehme ich mal nicht persönlich, möchte aber lieber professionell bleiben.“

„Lassen Sie uns das Gespräch doch lieber auf eine professionelle Ebene heben …“

„Das ist mir zu persönlich. Wollen wir es lieber professionell klären …?“

(vgl. Kuschik 2023: 229, 263)


Wie in diesen beispielhaften Sätzen schon formuliert, hilft es das Gespräch zurück auf die „Sachebene zu heben“ und die „ver-rückten“ Aussagen nicht persönlich zu nehmen.


Prinzipiell gilt (und macht das Leben auch um vieles leichter): Gespräche sollen dort gelassen werden, wo sie hingehören. Heißt: Berufliche Gespräche sollen dem Kontext entsprechend auch so behandelt werden: professionell und sachlich.


Zur Transaktionsanalyse von Eric Berne


Die Transaktionsanalyse von Eric Berne ist eine psychologische Theorie und Therapiemethode, die darauf abzielt, menschliches Verhalten und Kommunikation zu verstehen. Sie geht davon aus, dass unsere Persönlichkeit aus verschiedenen „Ich-Zuständen“ besteht, die in uns agieren und miteinander interagieren. Diese Ich-Zustände sind wie innere Einstellungen oder Perspektiven, aus denen wir handeln und reagieren.


Es gibt drei Haupt-Ich-Zustände:


  1. Elternzustand (Eltern-Ich): Dies ist der Zustand, in dem wir Verhaltensweisen, Einstellungen und unsere Stimmen Eltern oder Autoritätspersonen internalisiert haben. Hier finden Sie unsere übernommenen Normen und Werte. Als „Eltern-Ich“ spreche ich auch mit „erhobenen Zeigefinger“ und lehre, belehre, maßregle, unterweise, bestrafe und schimpfe ich andere.

  2. Erwachsenenzustand (Erwachsen-Ich): Im Erwachsenenzustand handeln wir rational, logisch und objektiv. Hier treffen wir Entscheidungen basierend auf Informationen und Fakten, ohne von emotionalen Einflüssen beeinflusst zu werden.

  3. Kindzustand (Kind-Ich): Der Kindzustand enthält Emotionen, spontane Reaktionen und Erinnerungen aus unserer eigenen Kindheit. Es kann in eine rebellische Form („freies Kind“) oder eine angepasste Form („angepasstes Kind“) unterteilt werden.

Transaktionen finden statt, wenn Menschen miteinander kommunizieren. Es gibt drei Arten von Transaktionen:

  1. Komplementäre Transaktion: Hier interagieren Menschen aus ihrem jeweiligen Ich-Zustand, wobei die reagierende Person auf den entsprechenden Zustand der anderen Person antwortet. Dies führt normalerweise zu einer reibungslosen Kommunikation.

  2. Überkreuzte Transaktion: In dieser Art von Transaktion antwortet die reagierende Person aus einem anderen Ich-Zustand als jener, aus dem die initiierende Person spricht. Das kann zu Missverständnissen oder Konflikten führen.

  3. Ultimative Transaktion: Hier antwortet die reagierende Person auf einen bestimmten Ich-Zustand der initiierenden Person, ignoriert aber den anderen Zustand. Dies kann zu Kommunikationsblockaden oder Frustration führen.


Die Transaktionsanalyse zielt darauf ab, Menschen dabei zu helfen, bewusster über ihre eigenen Ich-Zustände und die ihrer Mitmenschen nachzudenken. Indem wir die Dynamik dieser Zustände verstehen, können wir unsere Kommunikation und unser Verhalten effektiver gestalten und besser auf die Bedürfnisse anderer eingehen.


In unserem Bespiel kann es schon helfen sich Gedanken zu machen, ob der „ver-rückte“ Gast als „Kind-Ich“ (ich will, ich will, ich will, ich muss, ich muss …) zu mir spricht und ich sehr elternhaft den Zeigefinger gehoben habe.


Das Kommunikationsquadrat –

oder warum mit diesem Quadrat „Wer mit dem Finger auf andere zeigt, zeigt dabei mit drei Fingern auf sich“ gut erklärt wird:


Nach Schulz von Thun enthält Kommunikation im Prinzip vier verschiedene Ebenen: Sachinhalt, Appell, Beziehung und Selbstkundgabe. Dabei schwingen in jeder Äußerung die vier Aspekte mit. Das Kommunikationsquadrat, das bekannteste Modell von Friedemann Schulz von Thun, beschäftigt sich mit diesen vier Ebenen. Bekannt geworden ist dieses Modell auch als „Vier-Ohren-Modell” oder „Nachrichtenquadrat” (vgl. Plate 2014: 58 ff).


Jede Äußerung, die ich tätige, ist auf vierfache Weise wirksam. Jede meiner Äußerungen enthält, ob ich will oder nicht, vier Botschaften gleichzeitig:


  • eine Sachinformation (worüber ich informiere)

  • eine Selbstkundgabe (was ich von mir zu erkennen gebe)

  • einen Beziehungshinweis (was ich von dir halte und wie ich zu dir stehe)

  • einen Appell (was ich bei dir erreichen möchte)


Die Ebenen des Kommunikationsquadrats nach Friedemann Schulz von Thun

Ausgehend von dieser Erkenntnis hat Schulz von Thun die vier Seiten einer Äußerung als Quadrat dargestellt. Die Äußerung entstammt dabei den „vier Schnäbeln” des Senders und trifft auf die „vier Ohren” des Empfängers. Sowohl Sender als auch Empfänger sind für die Qualität der Kommunikation verantwortlich, wobei die unmissverständliche Kommunikation der Idealfall ist und nicht die Regel.

Kommunikationsquadrat erklärt
Das Kommunikationsquadrat nach Friedemann Schulz von Thun

Selbstkundgabe-Ebene

(was verrät der „ver-rückte“ Kunde oder die "ver-rückte" Kundin über sich)


Für die Selbstkundgabe gilt: Wenn jemand etwas von sich gibt, gibt er auch etwas von sich. Jede Äußerung enthält gewollt oder ungewollt eine Kostprobe der Persönlichkeit – der Gefühle, Werte, Haltung, Eigenarten und Bedürfnisse. Dies kann explizit („Ich-Botschaft”) oder implizit geschehen (vgl. Plate 2014: 65f).



Verständlich wird Kommunikation, immer dann, wenn wir uns ihr mittels Kommunikationsmodellen nähern. Egal, welches Modell wir bemühen: Kommunikation findet auf zwei Ebenen statt – der Sachebene und der Beziehungsebene. Die Beziehungsebene ist dafür verantwortlich, dass Kommunikation mitunter sehr schwierig ist.


Das Bild des Eisbergs verdeutlicht das Dilemma.


Das Eisberg-Modell


Das Eisberg-Modell ist eine Metapher, die benutzt wird, um die Idee zu verstehen, dass es in der menschlichen Kommunikation und im Verhalten zwei Ebenen gibt: die sichtbare Oberfläche (Sachebene) und die unsichtbare Tiefe (Beziehungsebene).

Eisberg-Modell, Das Eisberg Modell - Grafik Silvia Faulhammer - www.desenz.at; Die Grafik zeigt das Eisberg Modell
Das Eisberg-Modell mit den zwei Ebenen wie Sachebene und Beziehungsebene

Stellen wir uns doch einen Eisberg im Wasser vor: Das, was wir oben sehen, ist nur ein kleiner Teil des gesamten Eisbergs. Die größte Masse des Eisbergs befindet sich unter Wasser und ist unsichtbar. Ähnlich verhält es sich mit Menschen und ihrer Kommunikation:


Die Oberfläche: Das ist das, was wir leicht sehen und hören können. Es umfasst Dinge wie Worte, Gesten, Handlungen und offensichtliche Reaktionen. Diese Dinge sind offensichtlich und für jeden sichtbar.


Die Tiefe: Unter der Oberfläche liegen Gedanken, Gefühle, Erfahrungen, Überzeugungen, Normen, Regeln, Tabus, Hoffnungen, Träume, Wünsche, Traditionen... und andere innere Aspekte. Diese sind nicht sofort ersichtlich und erfordern manchmal mehr Aufmerksamkeit, um sie zu verstehen.


Das Eisberg-Modell zeigt, dass unsere sichtbaren Handlungen und Worte oft von unseren unsichtbaren Gedanken und Gefühlen beeinflusst werden. Wenn wir zum Beispiel jemanden treffen, der mürrisch aussieht oder "ver-rückt" ist, könnte dies auf tieferliegende Probleme oder Gedanken hinweisen, die wir nicht sehen können. Genauso könnten unsere eigenen Handlungen von unseren inneren Emotionen beeinflusst werden, die für andere nicht offensichtlich sind.


Die Idee hinter diesem Modell ist, dass eine bessere Kommunikation und ein besseres Verständnis entstehen können, wenn wir uns bewusst machen, dass es immer mehr gibt, als auf der Oberfläche sichtbar ist. Indem wir versuchen, die unsichtbare Tiefe zu erkennen und zu verstehen, können wir einfühlsamer und respektvoller miteinander umgehen.


Das Eisberg Modell. Das Bild zeigt eine Grafik des Eisberg Modells.
Das Eisberg Modell - Grafik Silvia Faulhammer - www.desenz.at

Zurück zu unserem „ver-rückten“ Kunden oder Gast:


Durchatmen

und sich ein paar Gedanken erlauben,

wie persönlich wir den Angriff wirklich nehmen wollen.


Viel Spaß und Freude beim Üben.


Über Fragen, Anregungen und Gedanken dazu freue ich mich sehr in den Kommentaren und natürlich gerne direkt via Email.


Herzlichst,

Eure Silvia Faulhammer


Kontakt:

Mag. (FH) Silvia Faulhammer, MSc.

silvia.faulhammer@desenz.at


Quellen & Leseempfehlungen:


Metasprache und Psychotherapie: Die Struktur der Magie I. Neu übersetzte Auflage

von Richard Bandler, John Grinder, et al.


Kommunikation und Veränderung: Die Struktur der Magie II. Neu übersetzte Auflage

von Richard Bandler, John Grinder , et al.


Kuschik, Karin (2023): 50 SÄTZE die das Leben leichter machen. Ein Kompass für mehr innere Souveränität. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag


Molcho, Samy (1988): Körpersprache als Dialog. Ganzheitliche Kommunikation in Beruf und Alltag. München: Mosaik Verlag GmbH.


Molcho, Samy (2001): Alles über Körpersprache. Sich selbst und andere besser verste-hen. München: Goldmann.


Molcho, Samy (2007): ABC der Körpersprache. Rheda-Wiedenbrück u.a.: RM- Buch-und-Medien-Vertrieb.


Molcho, Samy (2009): Umarme mich, aber rühr mich nicht an. Körpersprache der Bezie-hungen. Von Nähe und Distanz. München: Ariston Verlag


Molcho, Samy (2013): Körpersprache. München: Wilhelm Goldmann Verlag


Navarro, Joe (2021): Menschen lesen. Ein FBI-Agent erklärt, wie man Körpersprache entschlüsselt. München: mvg Verlag


Plate, Markus (2014): Grundlagen der Kommunikation. Gespräche effektiv gestalten. Göttingen: Verlag Vandenboeck & Ruprecht.


Schulz von Thun, Friedemann (1989): Miteinander reden 1: Störungen und Klärungen: Allgemeine Psychologie der Kommunikation. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag.


Schulz von Thun, Friedemann / Ruppel, Johannes / Stratmann, Roswitha (2003): Mitei-nander reden: Kommunikationspsychologie für Führungskräfte. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag.


Schulz von Thun, Friedemann (2020): Miteinander reden 1: Störungen und Klärungen: Allgemeine Psychologie der Kommunikation. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag.


Seliger, Ruth 2018: Das Dschungelbuch der Führung. Ein Navigationssystem für Führungskräfte. Heidelberg: Carl-Auer Verlag.


Watzlawick, Paul / Beavi, Janet / Jackson, Don (2016): Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxie. Bern: Hogrefe Verlag.



244 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page